Polizei missachtet Meinungsfreiheit, um Widerstand gegen Abschiebelager zu verhindern
19. September 2015
Nachtrag
Am Dienstag Nachmittag (22.09.15) rief ein Mitarbeiter der Kriminalpolizei bei einem der Betroffenen an und erklärte, dass aus polizeilicher Sicht keine Straftaten vorlägen. Der Mitarbeiter würde die Flugblätter beim Betroffenen in den Briefkasten einwerfen und damit sei aus seiner Sicht „die Sache geklärt“. Den Vorwurf des Aufrufs zu Straftaten aufrechtzuerhalten wäre auch lächerlich gewesen und hätte vor keinem Gericht stand gehalten. Die Grundfrage bleibt dennoch: Inwiefern hat die Bamberger Polizei vor, weiterhin die Meinungsfreiheit einzuschränken und politische Publikationen einfach zu beschlagnahmen?
Am Freitag, den 18. September gegen 18.00 Uhr beschlagnahmte die Polizei ca. 160 Flugblätter der Linksjugend [’solid], die zuvor an Flüchtlinge vor der „Ankunfts- und Rückführungseinrichtung“ verteilt wurden. Nach der Schilderung von Betroffenen stellt sich die Situation für VVN-BdA Bamberg folgendermaßen dar: Die Polizei war zuvor von Anwohner*innen gerufen worden, die beobachtet haben, dass Flugblätter an Flüchtlinge verteilt wurden. Dieses Engagement Bamberger Bürger begrüßen wir ganz ausdrücklich, da angesichts der ständigen Übergriffe von Nazis auf Flüchtlinge natürlich besondere Sensibilität gefragt ist. Relativ schnell fand die Polizei aber heraus, dass es sich bei dem Inhalt der Flugblätter, die mit „Free movement is everybodys right!“ überschrieben waren, nicht um rechtsextremes Gedankengut handelt und somit keine Gefahr für die Flüchtlinge darstellen. Statt aber die richtigen Konsequenzen zu ziehen und die Kontrolle zu beenden fing der ältere der beiden Polizisten eine Diskussion an „Wir können ja nicht alle aufnehmen!“ und er äußerte sich dahingehend, dass er für die Aufnahme von syrischen Flüchtlingen sei, aber dass es sich hier um Flüchtlinge vom Balkan handele. Als ihm versucht wurde die Lage von Sinti und Roma auf dem Balkan zu erklären, winkte er ab und meinte: „Jaja, für euch sind alles Verfolgte!“. Schnell hatte er allerdings kein Interesse mehr an einer Diskussion und stellte lieber fest: „Es geht auf jeden Fall nicht, dass sie hier weiter verteilen.“ Auf die Nachfrage „Wieso?“ entgegnete er: „Weil das nicht geht.“ Da dies keine zufriedenstellende Begründung schien, wurde gefragt, welche rechtliche Grundlage das habe. Daraufhin schaute er nochmal auf das Flugblatt, über das er kurz davor noch diskutiert hatte, und las einige Sekunden lang. Beim letzten Stichpunkt wurde er scheinbar fündig: „Leistet Widerstand!“ stand da, das sei angeblich ein Aufruf zur Straftat, er müsse deshalb die Flugblätter beschlagnahmen. Im weiteren Verlauf übernahm sein jüngerer Kollege die Gesprächsführung, der sichtlich nicht begeistert von der Entwicklung war, aber zu rechtfertigen versuchte, warum alle Flugblätter beschlagnahmt werden müssten. Das müsste eine andere Abteilung überprüfen, sie könnten das nicht entscheiden. Auf die Nachfrage, ob sie dann immer alle politischen Publikationen beschlagnahmen dürften, antwortete er, dass sie Flyer von Rechten auch schon beschlagnahmt hätten, neutral seien und deshalb alle gleich behandeln müssten. Auf das Angebot, dass wir ihnen in jeder Sprache ein Exemplar überlassen würden, und mit dem Verteilen aufhören würden, sobald die entsprechende Abteilung eine Straftat festgestellt habe, ging er erst gar nicht ein. Dass es den Polizisten offensichtlich nicht darum ging „Gefahrenabwehr“ zu betreiben, was als offizieller Grund für die Beschlagnahmung angegeben wurde, sondern kritische Stimmen gegen das Abschiebelager zum Schweigen zu bringen, zeigt folgender Gesprächsausschnitt: „Wenn wir das ‚Leistet Widerstand!‘ streichen würden und die Flugblätter nochmal verteilen, würden sie die dann auch wieder beschlagnahmen?“ „Ja, würden wir wahrscheinlich, weil wir hier nicht prüfen können, ob darin zu Straftaten aufgerufen wird.“ Die VVN-BdA Bamberg befürchtet, dass in Bamberg in Zukunft jede kritische Veröffentlichung ohne Rechtsgrundlage von der Polizei beschlagnahmt werden könne, da sie selber nicht prüfen kann, ob damit zu Straftaten aufgerufen wird. Das wäre ein immenser Rückschlag für 2000 Jahre Demokratiegeschichte. Der Text des viersprachigen Flugblattes ist hier einsehbar: https://app.box.com/s/v9cwn0v70upwiv77sntwohm1wly3hw5n